„Die 2020er Jahre werden unser Verständnis von Mobilität im ländlichen Raum maßgeblich verändern“
- Seit wann nutzen Sie BARshare und in welchem Rahmen?
Die Inselwerke sind eine Bürgerenergiegenossenschaft, die sich 2013 mit dem Ziel gegründet hat, die eigene Region als Bürgerinnen und Bürger gemeinsam nachhaltig zu gestalten. Unsere Genossenschaftsmitglieder – derzeit etwa 70 – wohnen zwischen Berlin und Usedom verteilt und bringen verschiedenes Wissen dazu ein, wie die Energiewende unter aktiver Beteiligung der Bürger*innen vor der eigenen Haustür gelingen kann. Unser Hauptthema zu Beginn war der genossenschaftliche Aufbau von Photovoltaik-Anlagen, „Energie aus Bürgerhand“ sozusagen. Mittlerweile liegt unser Fokus stärker auf den Themen Ladeinfrastruktur und Carsharing. Derzeit setzen wir uns etwa für Mobilitätsstationen mit E-Carsharing und Lastenrädern in regelmäßigen Abständen entlang der Regionalzugverbindung RE3 zwischen Berlin und Stralsund ein, z.B. am Bahnhof in Anklam: Jemand, der von Berlin in die Norduckermark möchte, soll die Möglichkeit haben, den ÖPNV mit weiteren nachhaltigen Mobilitätsangeboten zu kombinieren, ohne auf ein eigenes Auto zurückgreifen zu müssen. Multimodale Lösungen wie diese können vor Ort von vielen Menschen gemeinsam genutzt werden und auf der Basis nachhaltiger und regionaler Ressourcen betrieben werden. Als „Inselwerker“ sind wir fest überzeugt, dass die Energiewende nur unter Einhaltung aller drei Nachhaltigkeitsgesichtspunkte gelingen kann: Wir brauchen einen sozialen und ökologischen Wandel, der natürlich auch ökonomisch funktionieren muss. Als Genossenschaft geht es uns aber nicht primär um Gewinnausschüttungen, sondern hauptsächlich um ein funktionierendes System, das sich nach einer ersten Anlaufzeit von allein tragen kann und für alle in der Region ein Gewinn ist. - Wie kamen Sie dazu, BARshare zu nutzen?
Die Inselwerke sind der „Lieferservice im Hintergrund“ für die Ladesäulen des emobility Ladenetzes Barnim, das seit 2019 als kommunale Ladeinfrastruktur von den Kreiswerken Barnim im Landkreis Barnim ausgebaut wird. Wir kümmern uns um den Roamingservice, die Abdeckung der Servicehotline und die Betreuung externer Nutzer*innen. Nutzer*innen des kommunalen E-Mobilitätsangebots BARshare der Kreiswerke Barnim können außerdem kostenlos an unseren Ladesäulen in Vorpommern und auf Usedom laden: Etwa 40 Ladepunkte betreiben wir bereits im Raum Norduckermark bis Usedom, auch auf der Insel Rügen sind mittlerweile Ladepunkte geplant. Das bisherige Wissen und unsere Genossenschaftserfahrungen im Bereich Ladeinfrastruktur und E-Mobilität konnten wir auch direkt in die Kreiswerke Barnim einbringen, wo ich von 2017 bis 2018 als Projektmanager in die Vorbereitung und Entwicklung des E-Mobilitätsangebots BARshare im Landkreis Barnim involviert war. Seitdem stehen die Inselwerke den Kreiswerken Barnim für BARshare und das emobility Ladenetz Barnim auch beratend zur Seite und den wechselseitigen inhaltlichen Austausch dabei schätzen wir sehr: Auf derart neuen Wegen, wie wir sie beschreiten wollen und müssen, kommt man gemeinsam wesentlich weiter. - Was dachten Sie am Anfang über dieses Mobilitätsangebot?
Die Gründung unserer Genossenschaft hat ihren Anfang auf der „Sonneninsel“ Usedom genommen, welche im Sommer eine überdurchschnittlich große Anzahl an Sonnenstunden aufweist. Gleichzeitig herrscht in den Sommermonaten tourismusbedingt ein riesiges Verkehrsaufkommen auf der Insel. Die meisten Autofahrer sind jedoch mit Benzin oder Diesel unterwegs - sprich mit Erdöl, einem fossilen und alles andere als regional produzierten Kraftstoff. Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir stattdessen die Sonnenenergie vor Ort direkt nutzen, sozusagen die „Sonne in den Tank“ bekommen können. So kam ab 2014 die intensive Beschäftigung mit Ladeinfrastruktur und E-Mobilität in Verbindung mit Solarenergieerzeugung und wir haben begonnen, Energie- und Mobilitätslösungen zu entwickeln, die lokal und umweltfreundlich funktionieren und von den Akteur*innen vor Ort selbst bedarfsorientiert entwickelt und umgesetzt werden können. - Was wissen Sie an BARshare zu schätzen?
Der technologische Stand im Bereich E-Mobilität und Ladeinfrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt, womit auch die Beschaffung deutlich günstiger geworden ist. Auch die Förderlandschaft ist dahingehend mittlerweile breit aufgestellt und das Interesse der Standortpartner*innen wächst seit einigen Jahren stetig. Der Anteil der Bevölkerung, der tatsächlich elektromobil unterwegs ist, liegt jedoch bislang noch immer bei unter 1%. Und noch immer haben wir das „Henne-Ei-Problem“: Wer per E-Mobilität unterwegs sein möchte, braucht dazu auch die entsprechende Ladeinfrastruktur. Diese zu bauen halten viele Akteure und Gemeinden jedoch bislang für überflüssig, da es noch zu wenig E-Mobilist*innen gibt. Aus unserer Sicht braucht es deshalb vor allem noch viel mehr Öffentlichkeitsarbeit: Viele Bürger*innen glauben noch immer, dass E-Mobilität nicht funktionieren kann oder für den einzelnen viel zu viel kostet. Das ist aber eine falsche Annahme und es gibt bereits viele gute Beispiele, die das auch beweisen. Diese stärker sichtbar zu machen und in der Öffentlichkeit niedrigschwellig zu präsentieren kann helfen, all die vielen „Geht-nicht“-Vorurteile abzubauen. - Gibt es Dinge an BARshare, mit denen Sie Schwierigkeiten haben oder die aus Ihrer Sicht noch verbessert werden sollten?
Entgegen der häufigen Annahme ist die Stromversorgung im ländlichen Raum nicht das entscheidende Hindernis: Es gibt wenig Länder, deren Stromnetz derart gut ausgebaut ist wie das deutsche. Dem gegenüber steht das allgemein fehlende Bewusstsein, dass wir uns inmitten einer Mobilitätstransformation befinden. Die 2020er Jahre werden unser Verständnis von Mobilität inbesondere im ländlichen Raum maßgeblich verändern – ähnlich, wie es die Erfindung des Smartphones für unser Verständnis von Kommunikation in den vergangenen Jahren getan hat. Daran glauben viele Gemeinden noch nicht und scheuen sich davor, in Infrastruktur zu investieren, die ihnen nicht unmittelbar Gewinn einbringt und auch nicht direkt von Nutzen ist. Öffentliche Infrastruktur wird nämlich meist nicht von den Anwohnenden einer Gemeinde, sondern von Besucher*innen und Reisenden genutzt. Aber genauso, wie diese ihre Fahrzeuge unterwegs laden können müssen, möchten Angehörige es woanders vielleicht auch. Das Prinzip „Teilen statt besitzen“ und moderne Antriebstechnologien auf Basis regenerativer Energiequellen sind keine utopische Idee mehr, sie befinden sich bereits in der Umsetzung und je mehr wir dabei an einem gemeinsamen Strang ziehen, desto besser. Wir alle müssen lernen, ein wenig von egoistischen Besitzansprüchen abzurücken und uns auch im Bereich Mobilität mehr auf eine gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge zu konzentrieren.
Eberswalde, 22. Juni 2020